„Peter Pan“ von J.M. Barrie

Veröffentlicht: 5. Oktober 2018

Werbung*: Sicherlich kennt jeder Peter Pan, den Jungen, der nie erwachsen werden will, oder? Viele verbinden damit den gleichnamigen Disney-Zeichentrickfilm, andere haben den Klassiker von James Matthew Barrie bereits gelesen. Nachdem ich bisher nur den wirklich schönen Film gesehen habe und zusätzlich das emotionale Filmdrama um den Menschen J.M. Barrie „Wenn Träume fliegen lernen“ liebe, stand das Originalwerk schon lange auf meiner to-Read-Liste. Die hübsch gestaltete, neue Ausgabe aus dem Diogenes Verlag nahm ich dann endlich zum Anlass diesen Plan zur Umsetzung zu bringen.

KINDERBUCH?

Ähnlich wie „Moby Dick“ von Melville oder „Oliver Twist“ von Dickens wird „Peter Pan“ oft als Kinderbuch- oder Jugendbuchklassiker bezeichnet, obwohl sich das Werk ursprünglich gar nicht an Kinder richten sollte. J.M. Barrie entwirft mit seinem Peter eine Geschichte, die viel tiefschichtiger und facettenreicher ist als manch ein Leser annimmt und unterschwellig von Einsamkeit, Vernachlässigung und Tod spricht…

ABER VON VORNE…

J.M. Barrie stellt uns zu Beginn Mr. und Mrs. Darling sowie ihre drei Kinder Wendy, Michael und John vor. Als die Eltern einer abendlichen Essenseinladung folgen, passieren merkwürdige Dinge im Hause Darling: Ein kleines Wesen und ein Junge fliegen durch das Fenster auf der Suche nach einem verloren gegangenen Schatten. Peter findet seinen Schatten schnell wieder, doch er lässt sich nicht annähen. Der junge Peter weint und weckt die schlafende Wendy, die ihm hilfsbereit ihre Unterstützung anbietet. Genau so jemanden wie Wendy möchte der begeisterte Peter mit nach Hause nehmen, auf seine Insel, auf der die verlorenen Jungen leben – Jungen ohne Eltern, die aus dem Kinderwagen gefallen sind, die nicht vermisst werden und schrecklich gerne eine Mutter hätten. Die Geschwister beschließen Peter zu begleiten und erleben auf Nimmerland allerlei Abenteuer und Kämpfe gegen den bösen Captain Hook.

MÄRCHENHAFTE ERZÄHLUNG MIT VIELEN FACETTEN

Ohne Längen erzählt J.M. Barrie seine traurige und zugleich hoffnungsvolle Geschichte und webt alles in eine märchenhafte Atmosphäre, sodass die Seiten nur dahinfliegen. Der allwissende Erzähler berichtet von den Geschehnissen, nimmt aber mit seinen Formulierungen und Botschaften teilweise nur wenig Rücksicht auf kleine Kinder. Aufmerksam folgte ich Peter, den Geschwistern und den verlorenen Jungs und grinste immer wieder über den Hai, der unbedingt Captain Hook auffressen wollte. Doch der aufmerksame Leser entdeckt zwischen den Zeilen noch viel mehr…

Eigentlich liegt Peters Augenmerk nur auf Wendy, die sich als einziges Mädchen auf Nimmerland um die dort lebenden Jungs kümmern soll. Peter und seine Jungs sind einsam, ihnen fehlt sowohl ein Vorbild als auch eine Bezugsperson und das spürte ich deutlich. Eine wichtige Rolle nimmt die Figur der Mutter ein und ihrem Verhältnis zu den Kindern. Dies beginnt damit, dass der Fokus zuerst auf Mrs. Darling liegt, anschließend auf Wendy als „Mutter“ der verlorenen Jungs und schlussendlich wie Wendy selbst Mutter einer Tochter wird. Dadurch wird zusätzlich noch einmal der Kontrast zwischen Kindheit und dem Erwachsensein deutlich, wobei die Mutterrolle regelrecht verherrlicht wird. Dieser Aspekt kommt im Zeichentrick-Film so gar nicht deutlich rüber.

WOMIT ICH NICHT GERECHNET HÄTTE: WIE PETER EIGENTLICH TICKT…

Peter selbst ist in der Buchvorlage so ganz anders als er von Disney dargestellt wird. Als Anführer der verlorenen Jungs gibt er den Ton an. Heute würde man ihn wohl als Egomanen bezeichnen, denn er verfolgt stets rücksichtslos seine eigenen Motive und stellt sich selbst über alle anderen. Ihn charakterisiert Vergesslichkeit, denn er lebt stets in der Gegenwart, denkt nicht voraus und vergisst Erlebtes wieder. Gepaart mit seiner Selbstbezogenheit und Rücksichtslosigkeit ist das sicherlich der Charakter-Checkpot schlechthin. Ehrlich gesagt ist mir dieser tyrannische Kerl ganz schön unsympathisch. Auch Wendy und ihre Brüder fallen als ich-bezogen auf, sodass ich manchmal nur den Kopf schütteln konnte. Süß und goldig ist keines dieser Kinder. 

Allen voran fiel mir aber auch die Brutalität in diesem Buch auf. Peter brüstet sich damit andere umzubringen (Rothäute, Piraten) und betrachtet Gewalt, Mord und Tod aus spielerischer Perspektive. Für Kinder mag diese Sichtweise nicht ungewöhnlich sein, doch Peter begegnet Gewalt mit einer Leichtigkeit, die ich absolut nicht erwartet hätte. J.M. Barrie setzt aber diese kindlichen Persönlichkeiten und die Brutalität konsequent um und der Leser wird so zum Nachdenken angeregt, wie Peter und die Kinder eigentlich ticken, wieso das so ist und was sie motiviert. 

Fazit

„Peter Pan“ ist ein besonderes Werk, das unterschwellig von Traurigkeit und Hoffnung spricht. J.M. Barrie regt seine Leser zum Nachdenken an, bietet viel Raum für Interpretation und verpackt seine Botschaften in einer märchenhafte Abenteuergeschichte rund um Peter, seine Jungs, die Geschwister Darling, Piraten und Nixen. Dieser Klassiker steht für ein Leseerlebnis, das noch lange im Gedächtnis bleibt.  

Zum Buch

Peter Pan
Von James Matthew Barrie / Übersetzer: Christiane Buchner und Martina Tichy
Taschenbuchausgabe erhältlich seit 27. Juni 2018
ISBN: 978-3-257-24429-8
Seitenzahl: 272
Verlag: Diogenes Verlag

Zu “Werbung*”: Das Buch in diesem Blogbeitrag wurde mir als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Beitrag enthält aber trotzdem meine eigene Meinung.

Keine Kommentare

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert